Ich scrolle durch Insta und sehe ein Interview mit einer 97-jährige Oma, die sich auf Buddha bezieht, der sagt: „Lass das in deinem Geist nicht immer wieder hochkommen. Sag: ja, das war, das stimmt, aber ich lebe jetzt und schau nach vorne.“ Sie behauptet, dass Depression entsteht, weil man in der Vergangenheit wühlt und Psychotherapeuten dazu beitragen, dass es einem schlechter geht, weil man selbiges tut. Man soll abschließen und fertig.
Echt jetzt? Ich frage mal ganz provokant, ob der Job der Psychotherapeuten dann überflüssig ist? Soll es wirklich so einfach sein, dass man sagt: ok, ich hatte eine schwierige Kindheit, Punkt. Und jetzt geht’s halt weiter. ??? Ich möchte mal behaupten, wenn das so einfach wäre, hätten wir alle keine Probleme, Sorgen, Nöte.
Wenn auch nicht wissenschaftlich bewiesen, tragen wir die Sorgen und Nöte ganzer Generationen in unserem individuellen und gesellschaftlichen Gedächtnis. In meinem Körper sind die schlechten Erfahrungen meiner Groß- und Urgroßeltern definitiv abgespeichert und selbst wenn du das nicht glaubst, hast du jemals versucht, deine Vergangenheit zu abzuschließen und als erledigt zu betrachten? Viel Spaß. Wenn darin auch nur wenige, aber sich wiederholende negative Sätze vorkommen, die dein Selbstwertgefühl in den Keller schicken, wette ich mit dir, dass du nicht so schnell davon loskommst.
Lass doch einfach nur einen blöden Kommentar in deine Welt, der dich ruckzuck in deine Kindheit schmettert und dich als kleines Mädchen dastehen lässt. Du FÜHLST dich als wärest du 10 Jahre alt, machtlos, ausgeliefert und an die Wand gestellt. Du wirst nicht gehört, nicht gesehen. Du reagierst als erwachsener Mensch auf dein Gegenüber mit Eingeschnappt-Sein, Wut, Meckern, Vorwürfen, obwohl dieser Mensch gar nicht wirklich so „gemein“ war. Du überreagierst, weil es in deiner Vergangenheit wehgetan hat. Du versuchst dich zu schützen und baust eine Mauer auf, damit keiner in deiner Welt herumtrampelt. Aber Buddha sagt: lass mal, das war gestern. Lebe im Heute, haha!
Verstehst du, was ich meine? Es sagt sich so einfach, im Hier und Jetzt zu leben. Aber warum stecken Menschen fest, haben Angst vor Veränderung, vorm Jobwechsel, vor neuen Beziehungen und der schönen Welt da draußen? Weil sie, oder ihre Generationen davor, schlechte Erfahrungen gemacht haben. Manchmal auch ganz konkret, situationsbezogen. Ich erlebe das gerade selbst durch meine Kinder, da diese nun in meinem Jugendalter sind und ich schlichtweg mit guten Ratschlägen überfordert bin. Das reicht von Sport bis Schule.
Was soll ich den Kids denn raten? Mach es anders als ich? Wer weiß, was gewesen wäre? Wäre ich glücklicher geworden? Bin ich nicht glücklich? Bin ich undankbar? All diese Gedanken schießen mir durch den Kopf. Mit 50 darf man schon mal überlegen, ob man richtig abgebogen ist und was man so erlebt hat. Geht’s dir ähnlich?
Ich frage mich, was Buddha so den lieben langen Tag gemacht hat. Wahrscheinlich zu viel nachgedacht und hätte er einen Psychotherapeuten gekannt, hätte er sich vielleicht Hilfe geholt. Gut, er ist ja mehrmals wiedergeboren, um dann als Erleuchteter den Kreislauf von Geburt und Wiedergeburt zu durchbrechen. Ob das weniger anstrengend war als in diesem Leben einiges aufzuarbeiten?
Sicherlich kann man mit unbedeutenden Situationen so umgehen, dass man sagt: Stimmt, das war so, ist abgeschlossen. Aber es gibt ja nicht umsonst Methoden, Wege, Hilfen und Lösungen, um mit alten Mustern, die zu den unmöglichsten Zeitpunkten auftauchen, die Vergangenheit zu bewältigen. Ich finde es nicht richtig, den Beruf der Therapeuten im weitesten Sinne in Frage zu stellen. Wir können froh sein, diesen Luxus zu haben. Vor allem auch für Kinder und Jugendliche, die heutzutage noch viel mehr schultern müssen, weil das Handy und Social Media nicht mehr wegzudenken sind.
Aber was tun, wenn es nicht so schlimm ist und du deine Gedanken trotzdem loslassen willst? Ich bin immer dafür, Energie fließen zu lassen oder für Ablenkung zu sorgen. Es klingt abgedroschen, aber geh doch heute mal in den Wald. Fahre vielleicht ein Stück und suche dir den nächsten Baum.
Bäume haben etwas Magisches. Sie geben Kraft, erden und beruhigen. Ich habe auch schon diverse Bäume umarmt, möglichst ohne Publikum. Ich finde es immer noch komisch, aber es hilft. Waldbaden ist ja die neue Devise und auch schon gar nicht mehr so unbekannt. Im Yoga gibt es Gehmeditationen, bei denen man die Atemzüge zählt, um bei sich zu bleiben.
Das ist sowieso eine geniale Methode. Du gehst raus und konzentrierst dich auf deine Atmung. Hast du vielleicht einen Hund? Dann konzentrierst du dich auf eure Verbindung. Habt einfach eine gute Zeit.
Solche Übungen sollen ja auch nicht in Stress ausarten und gezwungenes Loslassen der Gedanken führt bei mir zum Gegenteil. Manchmal ziehe ich auch nur eine Karte (ja, Engelskarten…tief in der Schublade) und schaue, wohin der Weg führt. Im Endeffekt versuchst du ja, eine Verbindung zu deiner inneren Stimme aufzubauen. Du willst und solltest deiner Intuition folgen. Auch was die Vergangenheit anbelangt. Nicht durch Insta scrollen und auf 97-jährige Omas hören, die du gar nicht kennst, sondern auf dich. Dein Bauchgefühl, nicht deinen Verstand.
Falls du noch eine Oma oder Mutter hast, mit der du dich gut verstehst, dann geh doch mal ins Gespräch und ich wette, dass du einiges für dich sehen und fühlen kannst, um alte Muster und Gedanken loszulassen. Meine Oma ist schon lange nicht mehr auf dieser Erde, trotzdem kann ich Fragen stellen und Antworten erahnen. Das ist genau diese Verbindung zu dir selbst, die es gilt wiederherzustellen.
In diesem Sinne, folge deiner Intuition und ja, lebe im Hier und Jetzt, aber ignoriere nicht das Gestern. Es will vielleicht doch gesehen werden und dich schützen. Du darfst gerne zuhören und loslassen, aber nicht wegdrücken, denn das macht krank. Das wäre das letzte, was wir brauchen können.
Alles Liebe, Ute